Mittwoch, 26. Februar 2014

Platzspitzbaby

Der Platzspitz ist ein Park in Zürich, hinter dem Landesmuseum beim Hauptbahnhof gelegen, der Ende der 1980er Jahre zum Treffpunkt von Drogensüchtigen wurde und es als „Needle Park“ zu trauriger Berühmtheit brachte.

„Platzspitzbaby“ ist die Geschichte von Michelle Halbheer, deren Mutter schwerst drogenabhängig ist und unter anderem auf dem Platzspitz verkehrte. Aufgeschrieben wurde sie von der Journalistin Franziska K. Müller, die im Vorwort darauf hinweist, dass in den letzten Jahren auch die Kinder von Süchtigen zum Expertenthema geworden seien (ob das zu begrüssen ist, sei einmal dahin gestellt). Dessen ungeachtet fühlen sich viele Ämter und soziale Einrichtungen nach wie vor hauptsächlich den Süchtigen verbunden. "Auch aus diesem Grund sollte manches Drama, das sich in drogenbelasteten Familien abspielt, nicht nur den süchtigen Eltern angelastet werden, sondern auch manchen stillen Helfern und Mitwissern im Hintergrund." Ganz unbedingt, will man da unverzüglich zustimmen. Genauso wie dazu, "dass es, um sich selber zu schützen, oftmals nur eine Entscheidung gab: die endgültige Trennung von jenen, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihr Umfeld zugrunde richteten."

Doch von Anfang an: Michelle Halbheers Grossvater stammt aus Westafrika (ihm wurde seinerzeit der Zutritt zu manchen Schweizer Restaurants verwehrt), ihre Grossmutter wurde gelegentlich auf der Strasse angespuckt und als Hure bezeichnet; ihre Mutter, Sandrine, erbte das Temperament des Vaters – ungestüm und herzlich. In den Worten der Tochter war sie „masslos in der Liebe zu mir und immer auf der Suche nach dem Glück, das sie genauso wie das Unglück wie durch eine Lupe stärker und intensiver wahrzunehmen schien als andere Menschen.“ Ende der 1970er Jahre suchte Sandrine ihr Heil im Heroin, einer Droge, „die so süchtig macht, dass Menschen, die ihr verfallen, ihre Kinder verhungern und verdursten lassen, für einen Schuss zu Mördern werden, sich für zehn Franken prostituieren.“

Platzspitzbaby“ schildert eindrücklich „die Kraftlosigkeit, das Selbstmitleid, das mangelnde Verantwortungsgefühl“ der Süchtigen, führt einem überzeugend den destruktiven Ego-Trip der Abhängigen vor Augen und weist eindringlich darauf hin, wie fehlgeleitet Behörden, Ämter und Experten angesichts des Drogenelends agieren. „Auch heute sprechen sogenannt progressive Fachleute von Chancen und Motivation für die Junkie-Eltern und davon, dass ein Kind die Therapiewilligkeit der Heroinkonsumenten markant erhöhe. Diese falsche Zuversicht kostete mich und viele andere Kinder beinahe das Leben.“

Selten hat mich ein Text über die Auswirkungen der Drogensucht dermassen betroffen gemacht wie „Platzspitzbaby“. Weil er aufzeigt, dass Drogenabhängigkeit nicht nur ein Problem der Süchtigen, sondern ebenso sehr ein Problem der Angehörigen ist. Und das meint: dass ein Süchtiger nicht nur sich selbst zerstört, sondern auch alle um ihn herum.

In der Schweiz leben mindestens viertausend Kinder (die Dunkelziffer ist sehr hoch) in Familien mit Drogenproblemen. „Wieso haben Kinder von drogensüchtigen Eltern bis heute keine Menschen im Rücken, die sich für ihre Rechte einsetzen?“, wird am Schluss dieses aufwühlenden Textes Peter Burkhard, der Gesamtleiter des Vereins für umfassende Suchttherapie Die Alternative, gefragt. „Weil kleine Kinder als ungefährlich betrachtet werden. Sie leiden still. Sie sind machtlos.“ Da gilt es Gegensteuer zu geben und „Platzspitzbaby“ leistet dazu einen dringend notwendigen Beitrag.

Michelle Halbheer
Platzspitzbaby
Meine Mutter, ihre Drogen und ich
Geschrieben von Franziska K. Müller
Wörterseh Verlag, Gockhausen 2013

Mittwoch, 19. Februar 2014

Ein neuer Lebensabschnitt

Katja Kraus beschreibt in „Macht“ (S. Fischer, 2013) unter anderem, worin die Herausforderung besteht, wenn man einen neuen Lebensabschnitt in Angriff nimmt beziehungsweise nehmen muss: "Nicht dem Reflex nachzugeben, rasch auf vertrautes Terrain zurückzukehren. Das Gefühl zuzulassen, im reissenden Fluss zu schwimmen, die Baumstämme zu sehen, greifbar zu haben und doch vorbeitreiben zu lassen."

Mittwoch, 12. Februar 2014

Der Trend zur Selbstzerstörung

STANDARD: Die Welt kommt Ihnen erst besoffen vor, seitdem Sie nicht mehr trinken, schreiben Sie in "Höhenrausch". Was meinen Sie damit?

Jürgen Leinemann: Ich habe gesehen, dass sich nüchtern viele so verhalten, wie ich im Suff immer war: immer der Riese meiner Träume und der Zwerg meiner Ängste. Das andere ist: der selbstzerstörerische Trend, den wir in allem und jedem haben. Selbst wenn ich mir diesen Sommer anschaue, komm ich nicht umhin zu glauben, dass wir ihn uns in dieser Intensität selbst eingebrockt haben. Oder die Alpen, die abbröckeln: Das wird nicht allein an der Natur liegen. Diesen Trend zur Selbstzerstörung, den finde ich besoffen genug.

DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2006

Mittwoch, 5. Februar 2014

There is a crack ...

There is a crack, a crack in everything.
That's how the light gets in.

Leonard Cohen